Carsten Schlangen im Interview: “Ich kann natürlich bis fünfzehn zählen!”
Aus: Heimvorteil – Das Sportblog für Berlin (20.02.2007)
Es war vielleicht der spektakulärste Wettbewerb bei der Leichtathletik-Hallen-DM am vergangenen Samstag in Leipzig. Im Rennen über 3.000 Meter lieferten sich Freiluft-Europameister Jan Fitschen und Carsten Schlangen von der LG Nord lange Zeit ein packendes Duell. Auf der Zielgeraden der 14. Runde setzte der Berliner zum Endspurt an und zog zur allgemeinen Verwunderung an Fitschen vorbei. Der konterte, hatte auf der Linie haarscharf die Nase vorn und – bog zur Überraschung seines Kontrahenten in gleichbleibendem Tempo in die nächste Kurve ein. In diesem Moment realisierte Carsten Schlangen, dass er sich von den Durchsagen des Hallensprechers und falschen Anzeigen hatte verwirren lassen und 200 Meter zu früh angetreten war. Am Ende blieb ihm so nur Rang 4. Im nachfolgenden Gespräch erklärt der 26jährige wie es zu dem Missgeschick kam, warum er dennoch nicht enttäuscht ist und dass er sehr wohl bis 15 zählen kann…
Heimvorteil: Herr Schlangen, in der Montagsausgabe der Süddeutschen Zeitung wurde Ihnen indirekt unterstellt, Sie könnten nicht bis fünfzehn zählen. Haben die Kollegen recht?
C. Schlangen: Ich kann natürlich bis fünfzehn zählen. Ein Meisterschaftsrennen läuft aber anders ab als beispielsweise ein Lauf bei einem Meeting. Da gibt es keinen Tempomacher und du achtest mehr auf das, was die Konkurrenz tut als auf die Zwischenzeiten. Und wenn dann ein paar Runden vor Schluss nicht mal mehr der Hallensprecher weiß, wie lange noch zu laufen ist, kann man schon durcheinander geraten.
Heimvorteil: Was genau ist passiert?
C. Schlangen: Zunächst ging das Rennen schleppend voran. Dann wurde es allmählich etwas schneller. 1.000 Meter vor dem Ziel habe ich gedacht: ‘Bleib auf jeden Fall an Jan (Fitschen, d. Red.) dran’. Plötzlich war ich verwirrt, denn nach der viertletzten Runde wurden nur noch zwei verbleibende auf der Tafel angezeigt. Dass der Rundenanzeiger fälschlicherweise von “4″ auf “2″ umgeschaltet hat, habe ich aber gar nicht so richtig mitbekommen. Schließlich war ich voll auf das Renngeschehen und meine Gegner konzentriert. Zudem hat auch der Hallensprecher die noch zu laufenden Runden falsch angesagt.
Heimvorteil: Aber irgendwann war doch wieder alles in Ordnung.
C. Schlangen: Okay, da muss ich ehrlich zugeben: nach dem falschen Umspringen hat sich die Anzeige in der nächsten Runde nicht verändert. Und auch der Sprecher verkündete dann wohl die richtige Restdistanz. Aber ich habe mich da schon so auf meinen Antritt konzentriert, dass ich das weder gesehen noch gehört habe. Auf meiner fiktiven Zielgeraden habe ich auf den letzten 100 Metern alles gegeben und bin hinter Jan als Zweiter über die Linie gelaufen.
Heimvorteil: Und wann haben Sie Ihren Irrtum bemerkt?
C. Schlangen: Eigentlich sofort. Ich hab’ gesehen, dass Jan voll in die Kurve geht und nicht einfach austrudelt. In dem Moment ist dann der Arne Gabius auch noch vorbeigezogen. Dann dachte ich: ‘Oh nein, Scheiße’ und hab überlegt, ob ich überhaupt noch weiterlaufen soll, denn ich war natürlich völlig fertig. Da fällt die ganze Konzentration von einem ab. Du freust Dich über Platz 2 und dann passiert so etwas.
Heimvorteil: Und was haben die anderen Läufer gedacht? War Jan Fitschen nicht auch verwirrt?
C. Schlangen: Jan war sich auch nicht sicher. Das hat er mir abends noch mal so gesagt. Als ich meinen Spurt anzog, war er überrascht, dachte aber, dass ich jetzt doch nicht so gut drauf sein könnte, um das noch eine weitere Runde durchzuziehen. Daher wollte er unbedingt auf der vorletzten Zielgeraden vorne sein.
Heimvorteil: Kann man aus so einem Rennen trotzdem auch Positives ziehen?
C. Schlangen: Ich muss das jetzt einfach abhaken und daraus für die Zukunft lernen. Jan hätte ich an diesem Tag zwar kaum geschlagen, aber Zweiter wäre ich bestimmt geworden. Daher bin ich auch gar nicht so enttäuscht. Schließlich waren in Leipzig Leute dabei, die im Prinzip Vollprofis sind und nicht noch wie ich studieren oder arbeiten gehen. Und da einfach mal so locker mitzuhalten, obwohl ich jetzt gar nicht betont Trainingslager gemacht habe, ist schon ein gutes Gefühl. So lange bin ich ja mit meinen zweieinhalb Jahren Leistungssport auch noch nicht dabei.
Heimvorteil: Wie sieht Ihre weitere Planung für 2007 jetzt aus?
C. Schlangen: In der Halle mache ich nichts mehr. Das war aber auch so geplant. Selbst wenn ich die Norm geschafft hätte, wäre ich wohl nicht bei der EM in Birmingham gestartet. Am Dienstag fliege ich nach Lanzarote, wo ich mich auf die Deutschen Crossmeisterschaften vorbereite. Im Sommer will ich dann meinen Titel über die 1.500 Meter verteidigen. Natürlich möchte ich auf dieser Strecke auch unbedingt meine Bestleistung steigern, denn nur dann kann ich mich auch für die Weltmeisterschaften Ende August in Osaka qualifizieren.